1.23: Interview mit Laura Gehlhaar

Unternehmensziel Inklusion

Der Weg in die Gerechtigkeit

Laura Gehlhaar ist Autorin und Beraterin, studierte Sozialpädagogin, zertifizierte Mediatorin und Coachin. Sie setzt sich für Diversität und Inklusion ein und berät Unternehmen zu diesen Themen.

Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für mangelnde Inklusion in Unternehmen?

Die Ausgangslage ist ja einfach, dass die Wirtschaft überwiegend von männlichen, weißen, nicht-behinderten Menschen geprägt ist. Gruppen, die in irgendeiner Art Diskriminierung erfahren, wurden da von Anfang an nicht mitbedacht. Menschen mit Behinderung hatten schlechtere Chancen auf Bildung und ein holpriger Werdegang war bereits vorprogrammiert. Deshalb haben sehr wenige behinderte Menschen überhaupt einen Zugang zur Wirtschaft und zu Unternehmen. Sie haben kaum eine Chance, ihren Platz einzufordern. Und das zieht sich bis heute durch.

Aber einen Wandel gibt es trotzdem?

Ja, den gibt es, aber wenn ich ihn datieren müsste, würde ich sagen, dass die meisten Veränderungen erst in den letzten fünf oder sechs Jahren stattgefunden haben. Ich beobachte zum Beispiel, wie behinderte Menschen ihre Stimmen über Social Media erheben und ihre Rechte einfordern.

Welche Maßnahmen kann ein Unternehmen ergreifen, um sich diverser und inklusiver aufzustellen – und zwar langfristig?

Es gibt verschiedene Herangehensweisen, angefangen beim Recruiting bis hin zur Barrierefreiheit im Unternehmen. Eine wichtige Rolle spielt aber auch Sensibilisierungsarbeit und Aufklärung. Inklusion findet statt, aber sie entwickelt sich auch immer weiter. Es ist ein Prozess, der nie enden wird, deshalb ist es wichtig, auch mit den Maßnahmen immer weiterzugehen. Ich sage immer: Echte Diversität und echte Inklusion sind wie ein Ökosystem, es zieht sich durch alle Ebenen und alle Unternehmensbereiche hindurch – von ganz unten bis in die Führungsspitze.

Wenn wir von der Führungsspitze weg- und mehr über den Kollegenkreis nachdenken: Was kann die Kollegin oder der Kollege „vom Schreibtisch nebenan“ machen, um zur Inklusion beizutragen?

Diese Frage wurde mir schon oft gestellt und bis vor kurzem habe ich noch gesagt: über den eigenen Tellerrand schauen, offen sein, auf behinderte Menschen im eigenen Umfeld achten etc. Aber heute würde ich sagen, dass diese Verantwortung gar nicht bei der einzelnen Mitarbeiterin oder dem einzelnen Mitarbeiter liegen sollte. Denn wenn wir es schaffen, eine inklusive Unternehmenskultur zu gestalten, dann muss sich niemand mehr die Frage stellen, wie sie oder er als individuelle Person sich gegenüber behinderte Kolleginnen und Kollegen verhalten soll. Das korrekte Verhalten ist dann automatisch in den Arbeitsalltag integriert und alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ganz natürlich gleichgestellt.

Wenn ein Unternehmen auf Sie zukommt, um diese zuvor von Ihnen erwähnte inklusive Unternehmenskultur zu erarbeiten: Wie läuft die Zusammenarbeit ab?

Das ist ganz unterschiedlich, denn ich gehe auf jede Anfrage individuell ein. Ich biete Expertise in unterschiedlichen Rahmen an, das können Vorträge, Workshops und auch projektbezogene Begleitungen sein, die über einen längeren Zeitraum gehen – von ein oder zwei Wochen bis hin zu mehreren Jahren. In meiner Wunschvorstellung muss ich den Menschen das Thema Behinderung in ein paar Jahren gar nicht mehr so viel näherbringen, weil Inklusion dann schon so weit fortgeschritten ist. Dafür sieht meine Arbeit dann vielleicht anders aus. Es ist mir wichtig, mein flexibles Angebot aufrechtzuerhalten.

Was treibt Sie an, diese wichtige Arbeit auszuüben und sich aktivistisch für Inklusion, Diversität und Gerechtigkeit einzusetzen?

Es kommen zwei Sachen zusammen. Erst einmal konnte ich noch nie Ungerechtigkeit ertragen, in meiner Kindheit schon nicht, wo meine eigene Behinderung noch gar kein Thema war. Seit ich im Rollstuhl sitze, habe ich selbst auch viel Ungerechtigkeit erfahren. Deshalb habe ich angefangen, für Gleichberechtigung, Diversität und Inklusion zu kämpfen. Das kann anstrengend sein, denn ich kann mich in meinem Job schwer von Diskriminierung abgrenzen, was mich auch sehr verwundbar macht. Es ist für mich aber auch ein wahnsinniger Antrieb.

Zuletzt geändert am 23. November 2023