CHANCEN 1/24: Frau packt an!

Jeder sechste Ausbildungsplatz im Handwerk wird heute mit einer Frau besetzt. Vier von ihnen aus Oldenburg zeigen, dass sie in dieser Branche goldrichtig aufgehoben sind.

Vier Handwerkerinnen über ihren Berufsalltag

Bei Vosgerau am Damm gehören zwei Frauen zum fünfköpfigen Werkstatt-Team. Das Familienunternehmen von 1893 mit rund 1.000 Fahrrädern im Sortiment betreibt eine Meister-Werkstatt mit Reparaturservice. Jana Schubert wird hier zur Zweiradmechatronikerin ausgebildet. Fahrräder haben sie schon immer interessiert, denn ihr Stiefvater sei ein wahrer „Fahrradfanatiker“. Regelmäßig sind die beiden mit ihren Mountainbikes unterwegs. „Das Hobby zum Beruf machen klang verlockend. Nach einer Woche Probearbeiten war die Sache für mich klar!“

Vor allem die Abwechslung macht der Auszubildenden im Job Spaß, denn je nach Modell kommen andere Herausforderungen auf die 24-Jährige zu. Eines macht sie, neben kreativen Tüftelaufgaben, besonders gern: die Nabenwartung, bei der sie das Hinterradlager prüft, nachfettet und je nach Lager ein Ölbad oder einen Ölwechsel durchführt. Das Geschlechterverhältnis im Team ist ausgeglichen, findet Schubert. In der Berufsschule sieht das anders aus. Hier sind nur vier Frauen in der Klasse. Kein Problem für die männlichen Mitschüler. „Wir teilen dieselbe Begeisterung, da kommt man automatisch auf einen Nenner.“

Am Anfang habe sie schon etwas Zweifel gehabt, erinnert Schubert sich. „Handwerk und Werkstatt, ist das wirklich was für mich? Aber das Selbstbewusstsein kam nach und nach von ganz allein.“ So machen ihr auch skeptische Kunden im Laden inzwischen nur noch wenig aus. „Die fragen dann aus Prinzip nochmal bei einem männlichen Kollegen nach, der ihnen dann dieselbe Antwort gibt, die sie schon von mir gehört haben“, verrät sie augenzwinkernd.

Unter den Auszubildenden kommt das Handwerk inzwischen auf einen Frauenanteil von 18,3 Prozent. Das liegt vor allem an hohen Quoten in Friseur- und Kosmetikberufen, Maßschneiderei oder Konditorei. In gewerblich-technischen Berufen sind Bewerberinnen hingegen rar. Immerhin: In einigen Bereichen stieg der Frauenanteil in den letzten Jahren an. In der Zweiradmechanik wurden 2019 bundesweit bereits 61 Frauen mehr ausgebildet als 2017. Tendenz: steigend.

Strukturen aufbrechen

Bastian Darsow, seit 2009 Geschäftsführer der Eckel GmbH, ist es ein großes Anliegen, mehr Frauen fürs vermeintlich männertypische Handwerk zu begeistern. Im Sommer 2023 konnte sein Betrieb für Wasser-, Wärme- und Energietechnik gleich zwei weibliche Azubis ins Team nehmen. Die Folge: ein offenerer Umgang untereinander. „Alte Strukturen werden aufgebrochen. Da holt sich der Monteur schonmal selbst die Leiter aus dem Lager, statt die junge Kollegin zu schicken“, schmunzelt er.

Dass sie einmal etwas Handwerkliches machen möchte, wusste die junge Auszubildende Gracia Ripken schon früh. Für ihr Fachabitur wählte sie deshalb den Schwerpunkt Agrar-, Bio- und Umwelttechnik. „Als wir bei uns zuhause dann eine Wärmepumpe bekommen haben, fand ich es total spannend, den Monteuren bei der Arbeit zuzuschauen. Also habe ich mich über mögliche Berufsfelder in diesem Bereich informiert.“

Körperlich unterlegen fühlt die angehende Anlagenmechanikerin für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sich nur selten. „Zum Beispiel bei längeren Stemmarbeiten, da mache ich doch mal öfter Pause als meine männlichen Kollegen“, sagt sie. „Aber darum wird keine große Sache gemacht. Meine Devise ist: erstmal probieren. Wenn‘s nicht klappt, kann ich immer noch um Hilfe bitten.“

Weniger Muskelkraft sieht auch Chef Bastian Darsow nicht als Nachteil. „Bei unserem Job ist Kraft nur selten nötig, etwa wenn ein Heizkörper eingehängt oder eine Wärmepumpe getragen wird. Aber so eine Anlage steht in einer Stunde, das Anschließen der Technik nimmt viel mehr Zeit in Anspruch.“ Darsows Eindruck bestätigen auch quantitative Erhebungen, die das Ludwig-Fröhler-Institut für Handwerkswissenschaften (LFI) 2003 und 2023 in einer Online-Befragung von rund 600 deutschen Handwerksbetrieben durchführte. War mangelnde körperliche Eignung 2003 noch das wichtigste Argument gegen weibliche Beschäftigte, verlor dieser Faktor 2023 erheblich an Relevanz. Neben positiven Erfahrungen in der Vergangenheit gehörten Teamfähigkeit und Organisationsfähigkeit zu den meistgenannten Gründen, die Unternehmen für eine Beschäftigung von weiblichen Angestellten angaben. Das sah man übrigens auch 2003 schon so.

Dass die weibliche Verstärkung in seinem Team auf Baustellen gelegentlich mit „blöden Sprüchen“ kommentiert wurde, findet Eckel-Geschäftsführer Bastian Darsow alles andere als zeitgemäß. „Ich muss ehrlich sagen: Ich dachte, unsere Gesellschaft ist an diesem Punkt schon einen Schritt weiter. Aber im Arbeitsalltag trifft man noch erstaunlich oft auf verstaubte Ansichten.“ Vorurteile und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts schrittweise abzubauen, liegt in der Verantwortung aller Unternehmen, findet Darsow. „Wenn ich meinen Angestellten signalisiere, dass diskriminierendes Verhalten okay ist, muss ich mich nicht wundern, wenn sie Frauen abschätzig behandeln. Ich als Geschäftsführer muss klar Stellung beziehen. Nur so kann sich in der Gesellschaft etwas verändern.“

Gracia Ripken hat mit den eigenen Kollegen und Kunden vorwiegend gute Erfahrungen gemacht. „Jeder zweite Kunde spricht uns auf unsere Berufswahl an, aber meist sind die Leute einfach freundlich interessiert. Skepsis oder Ablehnung spürt man nur selten.“ Anderen Frauen rät die 19-Jährige deshalb, mutig zu sein: „Seid selbstbewusst, verfolgt euer Ziel und lasst euch nicht von ein, zwei unangebrachten Sprüchen auf einer Baustelle oder aus eurem Umfeld verunsichern.“

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Nachwuchs fördern

Zahlreiche Initiativen auf Landes- und Bundesebene setzen sich für mehr weiblichen Nachwuchs im Handwerk ein. Eine von ihnen: #EmpowerGirl. Initiiert vom Bündnis für Frauen in MINT-Berufen mit Unterstützung der Charta der Vielfalt arbeitet #EmpowerGirl gleichermaßen mit großen Wirtschaftsbetrieben und kleinen und mittelständischen Unternehmen zusammen. Auf einer Matching-Plattform für Praktika in MINT-Berufen werden Mädchen mit Firmen zusammengebracht.

Auch Weiss Pharmatechnik unterstützt die Mission von #EmpowerGirl. Begann das Unternehmen 1979 als Gesellschaft für Wasseraufbereitung und Energierückgewinnung (GWE) in Hude, ist es seit 2001 Teil der Unternehmensgruppe Weiss Technik und des international agierenden Schunk-Konzerns. Heutiger Schwerpunkt am Standort Oldenburg mit rund 100 Beschäftigten: Sicherheitsarbeitsplätze wie Isolatoren zum Produkt-, Personen- und Umgebungsschutz in der Pharmaindustrie.

Neben Praktikumsplätzen für technikaffine Mädchen bemüht man sich bei Weiss Pharmatechnik zudem um weibliche Azubis. Franziska Schulze-Wittig hat hier im Sommer 2023 ihre Ausbildung zur Mechatronikerin abgeschlossen. In der Fertigung ist die 32-Jährige die einzige Frau. Einen Unterschied macht das nicht. „Im Unternehmen ist das Geschlecht kein Thema. Ich kann auch nicht sagen, dass ich anders behandelt werde.“ Sie überlegt kurz und fügt schmunzelnd hinzu: „Es geht unter den Kollegen höchstens etwas höflicher zu, wenn ich dabei bin.“

Weil Weiss Pharmatechnik nicht im Serienbau tätig ist, bringt jede Fertigung neue Spezifikationen mit sich. Die Baugruppen werden geliefert und vor Ort zusammengesetzt, verkabelt und motorisiert. Dann folgt die Inbetriebnahme – für Schulze-Wittig der liebste Teil ihrer Arbeit. „Zu prüfen, ob das, was man vorher an Einzelarbeiten geleistet hat, im Zusammenspiel funktioniert, ist jedes Mal aufs Neue wieder spannend.“ Vom Begriff „Männerdomäne“ hält die Mechatronikerin nichts. Und rät auch jungen Berufsanfängerinnen, sich von derlei Schwarz-Weiß-Denken nicht verunsichern zu lassen. „Man sollte weniger darüber nachdenken, ob dieses oder jenes ein Männerberuf ist. Wenn ein Mädchen sich für Technik interessiert, ja warum denn nicht?“

Neues wagen

„Warum denn nicht?“ ist auch für Jane Rüdemann das Motto. Seit letztem Sommer macht sie bei TENO Veranstaltungstechnik eine Ausbildung zur Fachkraft für Veranstaltungstechnik. Den Abschluss als Veranstaltungskauffrau hat sie bereits seit 2022 in der Tasche. „Schon als Jugendliche wollte ich in diese Branche“, sagt die 25-Jährige. „Ich organisiere gern Events, aber mir fehlte in der Vergangenheit oft eine Schnittstelle zwischen theoretischer Planung und praktischer Umsetzung. Durch die zweite Ausbildung schaffe ich sie mir nun selbst.“

Aktuell ist Rüdemann im 18-köpfigen Team von TENO die einzige Frau. Gut aufgehoben fühlt sie sich trotzdem, denn im Arbeitsalltag spielt ihr Geschlecht keine Rolle. Besonderes Interesse hat die Auszubildende am Bereich Licht- und Videotechnik. „Ich bin eine künstlerische Person, und Licht ist für mich eine Form von Kunst.“ Dass noch immer vergleichsweise wenige junge Frauen in der Veranstaltungstechnik arbeiten, findet Jane Rüdemann schade. Was sie denen mit handwerklichem oder technischem Interesse mit auf den Weg geben kann? „Man sollte sich den Betrieb genau anschauen und herausfinden, ob man sich mit den Leuten wohlfühlt. Das geht am besten über ein Praktikum. Ich musste mich erstmal dran gewöhnen, nur mit Männern zu arbeiten. Wenn die Chemie stimmt, funktioniert das aber prima.“

Neben ihrer Arbeit bei TENO nutzt die gebürtige Ganderkeseerin ihre planerischen und technischen Kenntnisse rund um Ton, Video, Licht und Bühnenbau übrigens auch privat: Ende Mai organisiert sie mit Freunden bereits zum zweiten Mal ein mehrtägiges Kunst- und Kulturfestival mit Musik, Workshops und Ausstellungen in ihrem Heimatort. Dass sie auch bei diesem Vorhaben mit Rat und Tat unterstützt wird, versteht sich für ihre Kollegen von TENO von selbst.

Potenziale ausschöpfen

Studien belegen: Das Handwerk wird in vielen Bereichen weiblicher. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks fordert schon lange ein Umdenken – nicht nur in Familien und Schulen, sondern gesamtgesellschaftlich. Die Digitalisierung senkt die körperliche Belastung in Handwerksberufen zunehmend. Gleichzeitig räumen immer mehr Betriebe kreativem, kommunikativem und gestalterischem Potenzial eine höhere Bedeutung ein. Dieser Bewusstseinswandel fordert in der Konsequenz nicht zuletzt auch vielfältiger besetzte Teams. Und dass das Handwerk und handwerksnahe Berufe auch für Frauen goldenen Boden haben, ist schon längst kein Geheimnis mehr. Jana Schuster, Gracia Ripken, Franziska Schulze-Wittig und Jane Rüdemann machen es vor.

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Zuletzt geändert am 14. Mai 2024