Editorial
Ausweichbewegungen
Ich habe seit Wochen Rückenschmerzen. Zu denen im Nacken, die mir schon lange vertraut sind, haben sich neue Verspannungen auf der Höhe der Brustwirbelsäule gesellt. Seitdem gehe und sitze ich irgendwie schief, nehme Schonhaltungen ein und mache Ausweichbewegungen, um die Schmerzen zu kompensieren. Besser wird es dadurch nicht, sagt die Physiotherapeutin. Besser wird es nur mit Sport, für den ich zu wenig Zeit habe, weil ich zu viel Zeit in der für den Rücken wirklich ungünstigen Haltung am Schreibtisch verbringe. Wer auch einer Beschäftigung nachgeht, die überwiegend aus schriftlich geführter Kommunikation und Textarbeit besteht, wird mich verstehen. Die einzig sinnvolle Ausweichbewegung würde weg von meinem Arbeitsplatz führen und raus aus dem Büro. Leider lässt sie sich nicht gut mit der Leitung einer Kultureinrichtung vereinbaren. Die Rückenschmerzen bleiben deshalb konkret.
Eher abstrakt und theoretisch vermittelt sich die Behauptung, dass bei einem mehrsilbigen Wort der Wortakzent bedeutungsunterscheidend sein kann. In einigen Sprachen wird er in der Schrift kenntlich gemacht, im Deutschen jedoch nicht. Deshalb muss ich Versalien zur Hilfe nehmen, wenn ich darstellen möchte, wie sich nur durch die Änderung der Betonung innerhalb eines gesprochenen Wortes ein Ausweichen in sein Gegenteil verkehren lässt: Es ist durchaus ein Unterschied, ob jemand auf der Straße ein Hindernis umFÄHRT oder ob er es UMfährt. Fragen Sie mal das Hindernis.
Hürden liegen nicht nur auf hoffentlich gut ausgeleuchteten Straßen und Wegen herum. Gerade sprach ich mit einer Frau, die das Literaturhaus schon lange begleitet, über die Modifizierung einer Zusammenarbeit. Wir kennen uns seit Jahren. Wir schätzen einander. Und bald war uns klar, dass es bei einem gemeinsamen Projekt nicht weitergehen kann wie bisher. Wir werden noch ein Gespräch führen müssen, eins, um das wir lieber einen Bogen machen würden. Zusammen halten wir das aus, habe ich ihr gesagt, denn Probleme werden schnell unerträglich, wenn man ihnen zu lange aus dem Weg geht. Das ist so ähnlich wie die Sache mit den Rückenschmerzen. Und dann fällt mir doch noch eine Ausweichbewegung ein, die für mich und für das Literaturhaus-Publikum zu echten Verbesserungen führt: Wenn ich für eine Lesung, die vermutlich sehr viele von Ihnen besuchen möchten, einen Raum mieten kann, der wesentlich mehr Plätze bietet als das gar nicht so kleine Wilhelm13, weiche ich sofort zum größeren Veranstaltungsort aus. Im August und September sind Sie mir dabei ins PFL gefolgt. Jetzt muss ich nur noch die Rückenschmerzen in den Griff bekommen. Denke ich und dehne meine Nackenmuskulatur.
Ed
Zuletzt geändert am 2. Oktober 2024