CHANCEN 2/24: Führung

Es ist eine ordentliche Wegstrecke von klassisch hierarchischen hin zu flexiblen Führungsmethoden. Aber wer zukunftsorientiert agieren will, muss sie gehen – zusammen mit den Mitarbeitenden.

Auf Augenhöhe

Allzu viel Zeit ist nicht vergangen, da funktionierte Führung ungefähr so: Chef sagt, hier geht’s lang! Und alle marschieren los. Sofort und in die genannte Richtung. Es gibt nicht wenige Unternehmen, die auch heute noch nach dieser Methode verfahren. In dem einen oder anderen Fall sogar mit Erfolg. Aber eines ist klar: Modern geht anders.

Aber wie? Alexandra Deters sollte es wissen. Die Wahl-Oldenburgerin ist Expertin für das, was sich zeitgemäß „New Leadership“ nennt. Wie sieht sie also aus, die „neue“ Art zu führen?

Bevor sie sich einer Antwort auf diese Frage zuwendet, stellt Alexandra Deters klar, dass sie die alten, in der Regel auf Hierarchien aufbauenden Führungskonzepte nicht für grundsätzlich gescheitert hält. „Zu ihrer Zeit waren es aus den unterschiedlichsten Gründen vermutlich die richtigen. Doch viele haben sich überlebt.“ Wir schreiben eben nicht mehr das Jahr 1900. Bestimmt aber, so räumt die Beraterin ein, gebe es auch heute noch Bereiche und Branchen, in denen die eher traditionellen Führungsmodelle bedeutsam sein können – zumindest dort, wo die Arbeit aus klar definierten, wiederkehrenden Prozessen besteht.

Ein Unternehmen und die darin Beschäftigten zu führen, hat viel mit gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun. Insofern ist auch Führung einem permanenten Veränderungsprozess unterworfen. Heute bestimmen die Digitalisierung und die Folgen des demografischen Wandels, volatile Märkte und die Reaktion auf Krisen und Katastrophen das Denken und Handeln in den Chefetagen. Neue Ideen und Lösungen sind angesichts dieser Herausforderungen ebenso gefragt wie zukunftsorientierte Geschäftsmodelle.

Wie also geht Führung heute? Wie unter den genannten Bedingungen? Und was ist denn nun mit „New Leadership“?

Grundsätzlich geht es darum, den Interessen und Entwicklungen der Mitarbeitenden deutlich mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Gerade die Angehörigen der jungen Generationen, die auf dem Arbeitsmarkt häufig die freie Auswahl unter einer ganzen Reihe attraktiver Stellen haben, wollen nicht nur als Arbeitskraft, sondern als Persönlichkeit mit eigenen Vorstellungen gesehen werden. „Es geht um Selbstwirksamkeit“, erklärt Alexandra Deters. „Sie möchten gestalten, aktiv verändern, Prozesse anschieben und zeigen, was sie können.“ Wem eine Aufgabe gestellt wird, der erkennt, dass ihm zugetraut wird, sie zu erledigen. Das dient als Bestätigung und steigert neben dem Selbstbewusstsein das Verantwortungsgefühl.

Strukturen erwünscht

Weitere Schlüsselbegriffe sind Wertschätzung und Respekt, so eine Studie der Personalberatung Hays. Danach möchten Mitarbeitende gesehen und für ihre Leistung anerkannt werden. Mit einer Zustimmungsquote von 73 Prozent liegt dieser Aspekt unter 1.000 repräsentativ Befragten weit vorn. Es folgen ein fairer Umgang (61 Prozent), möglichst auf Augenhöhe, und ausreichend Zeit (54 Prozent). Nebenbei: Vorgesetzte wünschen sich ebenso Wertschätzung – auch wenn sie mal etwas zu kritisieren haben.

Zurück zu Alexandra Deters. Sie warnt vor einem Trugschluss: „New Leadership“ bedeute keineswegs, führungslos zu agieren. So weit geht der Kulturwandel nicht. Im Gegenteil: „Wir benötigen Strukturen und Rahmen zur Orientierung. Andernfalls ist das Feld, auf dem wir uns bewegen, zu groß.“ Aber dieser Rahmen verändere sich – im Idealfall im kooperativen Miteinander der Beteiligten. Aufgabe der Führungskräfte ist dabei nicht, die Bedingungen top-down zu definieren. Vielmehr sollen sie den Prozess lenken und die Teams motivieren, für alle tragbare Lösungen zu finden.

Von heute auf morgen gelingt das nicht, berichtet Alexandra Deters aus ihrem Coaching- und Beratungsalltag. Transformationsprozesse dauern, Wandel braucht Zeit. „Ich erlebe nicht selten, dass das alte System nicht mehr funktioniert, das neue sich aber noch nicht vollends etablieren konnte.“ So entsteht ein Vakuum im Unternehmen, das nicht zu lange anhalten sollte, da es Verunsicherungen verstärkt.

Erstaunlich: Wenn der Wille mitzugestalten zunimmt, müssten doch immer mehr Menschen Chefin oder Chef werden wollen. Die Zahlen sagen etwas anderes. Nach einer repräsentativen Umfrage der Initiative Chef:innensache streben immer weniger Beschäftigte und Studierende Führungspositionen an. Nur 26,5 Prozent der Befragten bekannten sich zu diesem Karriereziel. Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Studienreihe im Jahr 2018.

Ist das Image von Führung einfach mies? Wird Positives wie die Gestaltungsmöglichkeiten zu wenig thematisiert? Anders als etwa die Gefahr, zum Sündenbock gemacht zu werden? Dr. Sandra Arndt, Leiterin der Geschäftsstelle der Initiative Chef:innensache, sieht das so: „Wir müssen es schaffen, die positiven Seiten wieder stärker in den Vordergrund zu stellen, und attraktive Bedingungen für Führungskräfte schaffen. Für jedes Geschlecht und jede Altersgruppe.“ Schließlich sei gute Führung „ausschlaggebend für den Unternehmenserfolg, ebenso wie für das Miteinander und Wohlbefinden am Arbeitsplatz“.

Alexandra Deters erklärt sich die abnehmende Begeisterung für Führungspositionen in erster Linie mit den vielfach vorherrschenden Vorstellungen vom Aufbau eines Unternehmens. „Die Generation Z möchte den Sinn ihrer Arbeit erkennen, zukunftsorientiert denken und Ideen einbringen. Klassische Strukturen sehen das nur bedingt vor. Gerade in Konzernen ist es fast unmöglich, aktiv mitzugestalten, wenn man nicht bereits eine bestimmte Karrierestufe erreicht hat.“

Letzte Ausfahrt KI?

Bereitschaft, Verantwortung zu tragen – und zu teilen – sei vorhanden, weiß Alexandra Deters. Aber eben nicht immer in Verbindung mit dem Erklimmen der Karriereleiter. Interessant ist, dass gerade unter den jüngsten Befragten der Chef:innensache-Studie die Motivation am stärksten ausgeprägt ist, Führungsrollen zu übernehmen. 44,1 Prozent der 18- bis 29-Jährigen können sich das vorstellen.

Die Frage, warum während der beruflichen Laufbahn das Interesse daran sinkt, muss unbedingt beantwortet werden. Sonst wird sich die deutsche Wirtschaft schon bald mit einem ernsthaften Problem beim Führungsnachwuchs herumplagen müssen. Spätestens dann dürfte die Künstliche Intelligenz in den Chefetagen Einzug halten. Ob als Hoffnungsträger oder Schreckgespenst, das wird noch zu klären sein.

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Zuletzt geändert am 16. Oktober 2024