CHANCEN 1/24: Debatte

Das Thema

In 27 europäischen Ländern werden die Bürgerinnen und Bürger Anfang Juni an die Urnen gebeten. Mit der Europawahl stellen sie die Weichen für die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Welche Bedeutung hat das für Unternehmen in Oldenburg?

Es diskutieren

Björn Schaeper

Der 47-jährige ist Geschäftsführer für die Bereiche Wirtschaftspolitik, Innovation, Energie und Umwelt bei der Oldenburgischen IHK.

Jan-Eicke Meyer

Seit 2020 ist der 36-jährige Geschäftsführer des Beratungsunternehmens MCON und des lokalen Informationszentrums „Europe Direct“ in Oldenburg.

Am 9. Juni 2024 sind Wahlen zum Europäischen Parlament. Welche Rolle spielt die EU für die lokale Wirtschaft?

Was nützt die EU der lokalen Wirtschaft?

Schaeper:

Die Wahl hat enorme Bedeutung. Die Vorteile, die die Europäische Union mit sich bringt, sind für die Wirtschaft immens. Im Alltag geraten sie oft etwas in Vergessenheit, weil man vieles als selbstverständlich hinnimmt. Aber die EU bildet eine ganz wichtige Basis für die wirtschaftliche Entwicklung. Je stärker Europa ist, desto stärker ist auch die Wirtschaft.

Meyer:

Für viele wirkt Europa weit weg. Das ist schade. Für mich war der Neujahrsempfang der IHK eine Inspiration. Da ging es um die Frage, wie wir die Bedeutung der Europawahl noch deutlicher machen können. Wir müssen noch mehr Menschen mobilisieren.

Schaeper:

Wenn wir über die EU sprechen, steht an erster Stelle, dass wir dank europäischer Einigung seit fast 80 Jahren in Frieden und Freiheit leben. Das ist die wichtigste Rahmenbedingung für unternehmerische Entwicklung und wirtschaftlichen Erfolg. Seit mehr als zwei Jahren wissen wir aber auch, dass wir aktiv dafür kämpfen müssen. Ein weiteres Plus sind die vier Grundfreiheiten in der EU: der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital. Der einheitliche Binnenmarkt ohne Zölle erleichtert den Warenaustausch erheblich. Das ist allein schon für den Außenhandel ein Riesenvorteil. Ebenso die Niederlassungsfreiheit: Damit steht Unternehmen ein viel größeres Potenzial an Fachkräften und Standorten zur Verfügung.

Meyer:

Für viele Unternehmen in unserer Region gehört Europa zum Tagesgeschäft. Die Märkte machen vor den Grenzen nicht halt. Europa bietet für alle hier ansässigen Firmen unabhängig von ihrer Größe massive Vorteile. Beispiel Forschung und Entwicklung. Dank der Fördermöglichkeiten durch die EU lassen sich Entwicklungen steuern, die die Welt voranbringen.

Schaeper:

Nicht zu vergessen: Die EU ist mit 27 Millionen Unternehmen der größte Wirtschaftsraum der Welt. Das bedeutet viel Einfluss und Gewicht, etwa wenn es darum geht, Handelsabkommen abzuschließen.

Meyer:

Nochmal zu den Fördermitteln. Wir finden hier ein großes Portfolio vor, von dem die lokale Wirtschaft profitieren kann. Allerdings gibt es weiterhin Unternehmen, die das für sich nicht nutzen, häufig aus Unsicherheit oder Unwissenheit heraus. Da müssen wir noch mehr in die Offensive gehen.

Schaeper:

Einen neuralgischen Punkt haben wir beim Thema Bürokratie, Verfahren und Prozesse. Wenn man Kleinunternehmen typische EU-Förderprogramme zeigt, sind sie schnell abgeschreckt von dem Aufwand, der dahinter steckt. Davor dürfen wir nicht die Augen verschließen. Es ist ein grundlegendes Problem: Fast jeden Tag sind Unternehmen mit neuen Gesetzen, Dokumentationspflichten oder Formularen konfrontiert, die ihren Ursprung auf europäischer Ebene haben. Das ist kontraproduktiv und fatal für das Image der EU bei Unternehmern.

Meyer:

Wenn es um große Summen geht, ist der Aufwand gerechtfertigt. Die großen Unternehmen bekommen das auch hin. Aber Programme, die mehr auf die kleinen abzielen, bereiten erhebliche Mühe. Oft finden sich auf Bundes- oder Landesebene Förderangebote, die einfacher in der Abwicklung sind. Da gibt es zudem kostenlose Beratungsoptionen.

Schaeper:

Häufig stehen wir zu 100 Prozent hinter einem Ziel, etwa bei Menschenrechten, Umweltschutz oder Nachhaltigkeit. Aber die per EU-Regelung vorgegebenen Wege sind oft nicht praxistauglich und beim Kosten-Nutzen-Verhältnis teilweise absurd. Es muss ein echter Bewusstseinswandel her. Von der IHK liegt eine Liste mit 50 konkreten Vorschlägen vor, wo EU-Bürokratie abgebaut werden könnte. Und wir brauchen einen Praxischeck bei Gesetzen. Oft entsteht der Eindruck, die Entwürfe seien überhaupt nicht mit der Praxis rückgekoppelt worden.

Meyer:

Aber das ist kein reines EU-Problem, sondern existiert auch auf Bundes- und Landesebene.

Schaeper:

Das macht es noch schlimmer. Da haben wir eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen müssen.

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Zuletzt geändert am 15. Mai 2024