3.22: Interview mit Kristín Vala Ragnarsdóttir

Umdenken erwirken

Ökonomie des Glücks


In Island wird die „Ökonomie des Glücks“ praktiziert. Was es damit auf sich hat, weiß Kristín Vala Ragnarsdóttir. Als Botschafterin der Wellbeing Economy Alliance hat sie beim Wirtschaftstag Oldenburg im Herbst 2022 über dieses Thema referiert.

Was genau ist unter dem Begriff „Ökonomie des Glücks“ zu verstehen?

Die Bezeichnung stammt von dem englischen Begriff „wellbeing economy“. Genau genommen ist Ökonomie des Glücks nicht die richtige Übersetzung. „Wohlbefinden“ statt „Glück“ trifft es wohl eher. Ziel ist eine Wirtschaft im Einklang mit der Umwelt, sprich: klimaneutral und auf soziale Gleichheit ausgelegt. Ökosysteme und natürliche Ressourcen sind unsere Lebensgrundlagen, gleichzeitig nutzen wir sie als Grundlagen für die Ökonomie. Wissenschaftler haben neun planetare Grenzen definiert, die für die Stabilität des Erdsystems nicht überschritten werden dürfen. Wir haben aber schon fünf davon übertreten. Es sieht nicht gut aus. Wir müssen nun endlich in die Natur investieren. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir bald weder eine funktionierende Ökonomie noch eine gute Lebensgrundlage.

Welche Rolle spielt dabei die Wellbeing Economy Alliance?

Es ist eine globale Bewegung, die einen wirtschaftlichen Systemwandel herbeiführen möchte. Länder wie Island, Schottland und Neuseeland unterstützen wir bereits dabei. Ich habe die Wellbeing Economy Alliance 2017 mitgegründet. Sie hat inzwischen weltweit hunderte von Mitgliedern, über 200 Institutionen und Organisationen sind dabei. Jeder ist dazu eingeladen mitzumachen. Gemeinsam möchten wir ein Umdenken bewirken und eine Welt schaffen, in der die Wirtschaft im Einklang ist mit sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.

In Island wird die Ökonomie des Glücks bereit gelebt. Wie hat sich das entwickelt?

Seit 2018 ist Island Mitglied der Wellbeing Economy Alliance. Vorangegangen sind Gespräche, die ich mit dem ökonomischen Berater der Premierministerin geführt habe. Wir sind zusammen nach Schottland geflogen, um mit dem ökonomischen Berater von Nicole Sturgeon zu sprechen. Damals waren Schottland und Neuseeland schon Mitglieder der Wellbeing Economy Alliance. Nachdem klar war, dass Island ebenfalls dabei ist, hat unsere Premierministerin eine Arbeitsgruppe gegründet, die die Indikatoren für die Ökonomie des Glücks definiert hat. Ich wurde ebenfalls dazu eingeladen. Gemeinsam haben wir 39 Indikatoren ausgearbeitet, die in die Bereiche soziale Gerechtigkeit, Umwelt und Ökonomie einspielen. Wirtschaftliches Wachstum ist hierbei nur ein Indikator von vielen. 2020 hat die Regierung diese Indikatoren abgesegnet und seitdem wird alles dafür getan, sie zu erfüllen. Momentan befindet sich Island noch in der Anfangsphase, es braucht Zeit Strukturen aufzubrechen und nachhaltig zu verändern.

Ist die Ökonomie des Glücks, wie sie in Island gelebt wird, in jedem Land umsetzbar?

Sie ist umsetzbar und um ehrlich zu sein: sie muss überall umsetzbar sein. Denn sonst haben wir bald keinen funktionierenden Planeten mehr. Wir müssen für unsere Kinder eine Zukunft schaffen, in der sie eine Chance haben ein gutes Leben zu führen. Das Konzept der Ökonomie des Glücks ist flexibel. Neuseeland hat zum Beispiel 150 Indikatoren, also 111 mehr als Island. Es gibt also kein Patentrezept, da jedes Land unterschiedlich ist. Wichtig ist nur, dass die politische Führung klar hinter dem Konzept der Ökonomie des Glücks steht. Anders ist sie nicht umzusetzen.

Was läuft in der jetzigen Wirtschaft falsch?

Es geht immer nur um Wachstum und das auf Kosten von natürlichen Ressourcen. Wir kaufen und konsumieren immer mehr. Das geht nicht. Allein in den letzten 50 Jahren haben wir schon die Hälfte aller natürlichen Ressourcen aufgebraucht. Es muss ein Umdenken stattfinden. Bereits vor 50 Jahren hat der Club of Rome, bei dem ich auch Mitglied bin, das Buch „The Limits to Growth“ herausgegeben. Schon darin wurde davor gewarnt, dass es so nicht weitergehen kann. Bei der Industrie ist diese Warnung aber nicht angekommen. Viele Menschen haben die ganze Thematik nicht ernst genommen. Inzwischen spüren wir alle die Auswirkungen des Klimawandels. Es gibt mehr Überschwemmungen, Waldbrände, schlechtes Wetter und die Gletscher schmelzen. Jetzt streiten wir uns über Naturressourcen wie Wasser und Energie. Hätten wir vor 50 Jahren schon etwas getan, wären wir heute nicht in dieser Situation.

Denken Sie, dass wir den Planeten noch retten können?

Wenn ich das nicht glauben würde, wäre ich nicht hier. Ich bin überzeugt, dass wir in den nächsten Jahren große Veränderungen bewirken können. Wir haben die Technologie und das Geld, es ist letztendlich eine Frage des Wollens. Es ist doch so: Grundsätzlich sind Menschen keine egoistischen Wesen und denken nur an sich und Geld. Wir sind gerne eine Gemeinschaft und schaffen zusammen Dinge. Das ist auch der Grundgedanke an Netzwerken wie der Wellbeing Economy Alliance. Und es gibt noch so viele weitere Bewegungen, die im Prinzip genau das gleiche Ziel verfolgen. Der nächste Schritt ist, einen Weg zu finden, wie wir alle zusammenarbeiten können.

Sie sind Professorin für Geowissenschaften am Institute of Earth der Universität Island, Botschafterin für die Wellbeing Economy Association, sowie Mitglied zahlreicher anderer Netzwerke, die sich mit dem Thema der nachhaltigen Wirtschaft auseinandersetzen.

Was treibt Sie an?

Meine Denkweise hat sich grundlegend im Jahr 2000 geändert. Ich war damals schon 20 Jahre als Professorin an der Universität Bristol in England tätig. Dort wurde ich auf die Schumacher Society aufmerksam. Sie ist auf Ernst Friedrich Schumacher zurückzuführen, ein deutscher Ökonom, der in England lebte. 1973 hat er das Buch „Small is beautiful“ veröffentlicht, in dem er Richtlinien für ein nachhaltiges Wirtschaftssystem definierte. Ich habe damals ein Mitglied des Verbands kennengelernt und mit ihm über dieses Thema gesprochen. Er wurde zu meinem Vorbild, eine Art Mentor, von dem ich viel gelernt habe. Mir wurde klar, dass wir alle viel zu unnachhaltig auf dieser Erde leben. Ich als Geologin habe mir die Frage gestellt, ob ich in meiner Position überhaupt etwas bewirken und ändern kann. Zuerst wollte ich meine Stelle verlassen und was ganz anderes machen. Aber dann dachte ich: Ich spreche täglich mit all diesen Studenten, die kann ich beeinflussen. Ich begann mich mehr mit den Themen der Geochemie, Umweltverschmutzung und Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen und habe mich darauf spezialisiert. Das ist jetzt 22 Jahre her. Meine Kollegen dachten damals ich wäre verrückt. Sie haben es nicht verstanden. Jetzt verstehen sie es.

Zuletzt geändert am 23. November 2023