Jury-Begründung
Anne Applebaum Carl-von-Ossietzky-Preisträgerin 2024
„Die von der Stadt Oldenburg eingesetzte Jury erkennt den Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg des Jahres 2024 der Historikerin, Journalistin und Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum zu.
Die Jury ehrt mit ihrem Votum eine herausragende Intellektuelle, die mit ihrem Konzept einer öffentlich sichtbaren Zeitgeschichtsschreibung fachwissenschaftliche und journalistische Expertise vereint und sich mutig und mahnend im Sinne Carl von Ossietzkys für Demokratie und Menschenrechte in globaler Perspektive einsetzt. Für ihre wissenschaftliche und publizistische Arbeit konnte sie in Russland Quellen erschließen, die heute nicht mehr zugänglich sind. Mit ihren Büchern, Artikeln und Interviews, in denen sie sich engagiert zu aktuellen Themen der Politik und der Zeitgeschichte äußert, findet Anne Applebaum international große Resonanz. Seit vielen Jahren schreibt sie für zahlreiche renommierte Zeitungen und Zeitschriften und war viele Jahre Redaktionsmitglied der Washington Post und später der Zeitschrift „The Atlantic“. Sie zählt als Publizistin und Zeithistorikerin zu den wichtigsten intellektuellen Stimmen der Gegenwart.
Für ihr Buch „Der Gulag“, mit dem sie eine Gesamtdarstellung des sowjetischen Lagersystems vorlegte, wurde sie mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Einen ebenfalls viel beachteten Beitrag zur Aufarbeitung der Leidensgeschichte in der kommunistischen Diktatur der Sowjetunion leistete sie mit dem Buch „Roter Hunger“, in dem sie die gezielten massenhaften Verbrechen an den Ukrainern zu Sowjetzeiten schildert und für das sie den Duff-Cooper-Preis erhielt.
2021 erschien ihr Buch „Die Verlockung des Autoritären“, in dem sie der Frage nachgeht, was für viele Menschen autoritäre und illiberale Herrschaftsformen so attraktiv macht und warum die Demokratie als Regierungsform weltweit unter Druck geraten ist. An zahlreichen Beispielen – von Trump über Johnson und Orban bis zur PiS-Regierung in Polen – fragt sie nach den intellektuellen Wegbereitern autoritärer Herrschaft und analysiert die Gründe, warum Menschen empfänglich werden für eine autoritär und antidemokratisch ausgerichtete Politik. Eng damit verbunden sind ihre Studien zu den kommunikativen Strategien, die eingesetzt werden, um antidemokratische politische Entscheidungen mehrheitsfähig zu machen.
Anne Applebaum, die 1964 in Washington geboren wurde, besitzt neben der amerikanischen auch die polnische Staatsbürgerschaft. Den Wahlkampf zur Parlamentswahl 2023 in Polen begleitete sie mit kritischen und scharfsinnigen Analysen und Kommentaren.
Frühzeitig warnte Anne Applebaum auch vor Putin und seinem aggressiven antiwestlichen Kurs. Sie forderte von Anfang an unzweideutig die Unterstützung der Ukraine gegen den Aggressor, um Russland eine klare Botschaft zu senden, und trug auch hier mit ihrer fachlichen Perspektive wie ihrer journalistischen Kompetenz maßgeblich zur öffentlichen Auseinandersetzung mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine bei. Sie mahnt den Erhalt einer regelbasierten Weltordnung an und erinnert nicht zuletzt Europa daran, eine klare, friedenssichernde Sicherheitspolitik zu betreiben."
Die fünfköpfige Jury
Der Jury gehören an die Historikerin Professorin Dr. Dagmar Freist (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg), der Journalist und frühere Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein Friedrich-Wilhelm Kramer (Hamburg), der Journalist und ehemalige Tagesthemen-Moderator Thomas Roth (Berlin), die Journalistin und Autorin Shelly Kupferberg sowie der Historiker Professor Dr. Martin Sabrow (Potsdam), Senior Fellow am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung.
Zuletzt geändert am 4. Juni 2024