Im Blickpunkt
Bisherige Veranstaltungen: Aktuelles aus Zeitgeschichte und Politik
Europa ja, aber …
Der 60. Geburtstag der Europäischen Union steht unter schwierigen Vorzeichen. Nach anfänglicher Euphorie haben inzwischen Nationalismus und Rechtspopulismus ein gefährliches Ausmaß angenommen. Seit der Flüchtlingskrise 2015 und dem Brexit haben die Ressentiments gegen die EU neue Qualitäten erreicht. Die Aushöhlung demokratischer Standards durch Rechtspopulisten gefährdet nicht nur Freiheitsrechte in den betroffenen Staaten, sondern untergräbt die Fundamente der gesamten EU: Droht ein Rückfall in Nationalstaatlichkeit? Wie könnte die Zukunft der Europäischen Union aussehen?
Über die gegenwärtige Situation in Polen diskutierte der Historiker und Carl-von-Ossietzky-Preisträger 2010 Włodzimierz Borodziej am 22. Mai 2017. Die aktuelle Lage in Ungarn war Thema der Veranstaltung mit der Philosophin und Carl-von-Ossietzky-Preisträgerin 2012 Ágnes Heller am 1. Juni 2017.
Autokraten an der Macht? Viktor Orbán und die Demokratie in Ungarn
Donnerstag, 1. Juni 2017, 19 Uhr, Kulturzentrum PFL
Prof. Dr. Ágnes Heller im Gespräch mit Stephan Ozsváth
Moderation: Prof. Dr. Sabine Doering
Seit der Wiederwahl Viktor Orbáns im Jahr 2010 baut Ungarns Regierungschef Staat, Wirtschaft und Gesellschaft radikal um. Mit der Verabschiedung zahlreicher einschränkender Gesetze mit Verfassungsrang im Medien- und Justizbereich wird ihm rechtsnationalistisch-antidemokratischer Führungsstil vorgeworfen, um seine Idee einer „illiberalen Demokratie“ durchzusetzen. Drohende EU-Sanktionen und Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof konnten keine durchgreifenden Korrekturen herbeiführen. Nicht zuletzt Viktor Orbáns konfrontative Flüchtlingspolitik und die stetigen Verschärfungen des Asylrechts werfen die Frage auf, ob sich Ungarn nach und nach von demokratischen Grundwerten verabschiedet.
Über die Verhältnisse in Ungarn und der EU diskutierten die ungarische Philosophin Ágnes Heller, Carl-von-Ossietzky-Preisträgerin des Jahres 2012, und der Journalist Stephan Ozsváth (ARD-Korrespondent Südosteuropa, Wien). Moderiert wurde die Veranstaltung von der Literaturwissenschaftlerin Sabine Doering.
Ágnes Heller überlebte als Jüdin nur knapp die Judenverfolgung. 1947 studierte sie Philosophie an der Universität Budapest bei Georg Lukács, promovierte und wurde seine Assistentin. Wegen ihrer Tätigkeiten und Ideen wurde sie aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen und mit Berufs-und Publikationsverbot belegt. 1977 emigrierte sie nach Australien und wurde Soziologieprofessorin an der Universität Melbourne. Anschließend übernahm sie den Lehrstuhl von Hannah Arendt für Philosophie in New York. Inzwischen lebt sie wieder in Budapest.
Stephan Ozsváth hat Publizistik, Spanisch, Lateinamerikanistik und Hungarologie studiert. Nachdem er zunächst beim RBB und für Deutschlandradio Kultur tätig war, hat er einen Radiodienst für das Netzwerk Osteuropa-Berichterstattung aufgebaut und wurde N-Ost-Korrespondent für Ungarn. Seit 2012 ist er Südosteuropa-Korrespondent im ARD-Studio Wien, zuständig für die Berichterstattung aus zwölf Ländern. Im Herbst erscheint sein Buch „Puszta-Populismus“.
Sabine Doering ist Professorin für deutsche Literatur der Neuzeit unter Einschluss der Literaturtheorie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Ihre Forschungsschwerpunkte bilden die Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts sowie die Gegenwartsliteratur. Die Präsidentin der Hölderlin-Gesellschaft schreibt darüber hinaus als freie Literaturkritikerin für verschiedene Zeitungen. Sie ist Jury-Mitglied zur Carl-von-Ossietzky-Preisvergabe der Stadt Oldenburg und Jury-Sprecherin.
Freitag, 2. Juni 2017, 10 Uhr, Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa
Fachgespräch mit Prof. Dr. Ágnes Heller und geladenen Gästen.
Konsonanzen – Dissonanzen. Polens Weg wohin?
Montag, 22. Mai 2017, 19 Uhr, Kulturzentrum PFL
Prof. Dr. Włodzimierz Borodziej im Gespräch mit Jan Puhl
Moderation: Friedrich-Wilhelm Kramer
Der Beitritt Polens 2004 in die EU im Rahmen der Ost-Erweiterung wurde als beispiellose Erfolgsgeschichte gefeiert. Seit geraumer Zeit entwickeln sich die Verhältnisse jedoch höchst problematisch. Die Reformen der im Jahr 2015 in Polen gewählten nationalkonservativen Regierungspartei PiS haben nicht nur die Medienfreiheit, sondern auch die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit des polnischen Verfassungsgerichts ins Wanken gebracht. EU-Überprüfungen der Rechtsstaatlichkeit, Abmahnungen und Gespräche haben keine grundlegenden Annäherungen gebracht. Im Gegenteil: Mit der Wiederwahl von Donald Tusk als EU-Ratspräsident sind die Fronten verhärteter denn je, die insbesondere auch die deutsch-polnischen Beziehungen schwer belasten.
Der Warschauer Historiker Włodzimierz Borodziej, Carl-von-Ossietzky-Preisträger des Jahres 2010, diskutierte mit dem Polen-Korrespondenten Jan Puhl (Der Spiegel) über die aktuellen Entwicklungen in Polen und der EU sowie über die deutsch-polnischen Beziehungen. Moderiert wurde das Gespräch von Friedrich-Wilhelm Kramer, ehemaliger ARD-Korrespondent in Polen, freier Journalist und Berater.
Włodzimierz Borodziej ist Professor für Zeitgeschichte an der Universität Warschau. Er war unter anderem Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission und von 1992 – 1994 Generaldirektor in der Sejmkanzlei der Republik Polen. Von 2010 bis 2016 leitete er mit J. von Puttkamer das Imre Kertész Kolleg Jena – „Europas Osten im 20. Jahrhundert. Historische Erfahrungen im Vergleich“. Er ist Vorsitzender des Beirats des Hauses der Europäischen Geschichte, Brüssel, und Chefherausgeber der Polnischen Diplomatischen Akten.
Jan Puhl ist Geschichts- und Politikwissenschaftler. Er war u.a. freier Mitarbeiter für die Hamburger Wochenblätter, Radio FFN und NDR Fernsehen. Nach seinem Volontariat bei der Deutschen Presseagentur in Berlin wurde er Redakteur der Wochenzeitung „Die Woche“. Seit 2002 ist er als Spiegel-Korrespondent im Auslandsressort für Mittelosteuropa vom Baltikum bis zum Balkan sowie für Afrika tätig.
Friedrich-Wilhelm Kramer arbeitete als Redakteur, Reporter und Moderator beim NDR in Hannover und Hamburg. Er war Stellvertretender Senatssprecher der Freien und Hansestadt Hamburg, ARD-Korrespondent in Warschau, Chefredakteur NDR Hörfunk und von 1993 bis 2012 Direktor des NDR-Landesfunkhauses Schleswig-Holstein. Er hat Lehraufträge für Medien und Politik in Hamburg und Riga und ist Mitglied der Stiftung Zukunft Berlin. Kramer ist unter anderem Juror zur Carl-von-Ossietzky-Preisvergabe.
Deutschland – Russland. Geschichte und Gegenwart eines schwierigen Verhältnisses
Mittwoch, 2. November 2016, 19 Uhr, Kulturzentrum PFL, Stadtbibliothek
Dr. Irina Scherbakowa im Gespräch mit Prof. Dr. Jan Kusber
Moderation: Dr. Hans-Christian Petersen
Die Beziehungen zu Russland scheinen einen historischen Tiefpunkt erreicht zu haben. Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im März 2014 ist eine Atmosphäre des Misstrauens und der Angst an die Stelle von Dialogbereitschaft und Annäherung getreten. Mehrstufige EU-Sanktionen gegen Russland, russische Einfuhrverbote für Lebensmittel aus der EU, die neuerlichen Konfrontationen im Ukraine-Konflikt sowie die festgefahrenen Verhandlungen im Syrienkrieg wecken ungute Erinnerungen an die gefährlichen Zeiten des Kalten Krieges. Die größte Militärübung in Osteuropa seit 1989 mit NATO-Ländern und deren Partnern in unmittelbarer Nähe der russischen Grenze wird von Russland scharf kritisiert und als Provokation und Drohgebärde empfunden.
Bewegen wir uns, zunehmend angeheizt durch wachsenden Nationalismus und Rechtspopulismus, auf eine neuerliche Blockkonfrontation zu? Bedarf es einer neuen west-östlichen Entspannungspolitik? Und welche Rolle kommt dabei den wechselvollen deutsch-russischen Beziehungen zu?
Auf der Grundlage ihres neuen Buches „Der Russland-Reflex“ diskutiert die Carl-von-Ossietzky-Preisträgerin des Jahres 2014 Irina Scherbakowa mit dem Russland-Experten Jan Kusber (Universität Mainz) unter Moderation des Historikers und Slavisten Hans-Christian Petersen (BKGE Oldenburg) über die neuesten Entwicklungen des deutsch-russischen Verhältnisses und dessen historische Hintergründe.
Irina Scherbakowa ist promovierte russische Germanistin, Historikerin und Publizistin. Seit Jahrzehnten engagiert sie sich nicht nur für die historische Erforschung der wechselvollen, zerrissenen Geschichte ihres Landes im 20. Jahrhundert und die Verständigung zwischen Russen und Deutschen, sondern auch für die damit einhergehenden aktuellen Menschenrechtsfragen in der Russischen Föderation. Im Mai 2014 wurde sie dafür mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg ausgezeichnet.
Jan Kusber ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte Russlands vom 15. bis ins 20. Jahrhundert, die Geschichte der Sowjetunion und Polens in der Neuzeit sowie die Bildungsgeschichte Osteuropas. Kusber ist unter anderem Vorstandsmitglied des Verbandes der Osteuropahistorikerinnen und -historiker sowie Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde.
Hans-Christian Petersen hat Osteuropäische Geschichte, Slavistik und Politologie in Kiel und Kaliningrad studiert. Seine Promotion erfolgte an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Von 2003 bis 2014 war er am Historischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Arbeitsbereich Osteuropäische Geschichte, tätig. Seit September 2014 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Oldenburger Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa.
Neue Zeiten – Alte Zeiten? Was uns der Weimarer Publizist Carl von Ossietzky heute noch zu sagen hat
Mittwoch, 19. Oktober 2016, 19 Uhr, Kulturzentrum PFL
Vortrag von Prof. pens. Dr. Werner Boldt und Gespräch mit Helmut Donat
Moderation: Prof. Dr. Sabine Doering
Was gehen uns Carl von Ossietzky und die Weimarer Zeit heute, 80 Jahre nach der Verleihung des Friedensnobelpreises an den politischen Publizisten, noch an? Ossietzky war ein scharfzüngiger und leidenschaftlicher Anhänger der Republik und musste nach den erlittenen Misshandlungen in den Konzentrationslagern Sonnenburg und Esterwegen mit seinem Leben dafür zahlen. Mutig wie wenige hatte er die politischen Entwicklungen in der Weimarer Zeit kommentiert sowie vor dem in den Nationalsozialismus einmündenden Rechtsextremismus und der Zerstörung der Republik gewarnt.
Rechtsextremismus, Nationalismus und Gewalt sind auch heute wieder, insbesondere im Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage, hochaktuelle Themen und der sogenannte Weimar-Vergleich belebt zurzeit die öffentlichen Debatten. Ist der Vergleich abwegig und gar gefährlich? Oder gibt es bedenkliche Parallelen?
Um solchen Fragen nachzugehen, wird Werner Boldt zunächst einen Vortrag über das Demokratieverständnis des politischen Publizisten halten, wobei auch deutlich wird, dass ganz zu Unrecht bisweilen noch heute Ossietzky eine Mitschuld am Untergang der Weimarer Republik gegeben wird. Auf dieser Grundlage werden sich die beiden Carl-von-Ossietzky-Preisträger des Jahres 1996 Werner Boldt und Helmut Donat danach den aktuellen politischen Fragen zuwenden und diese in Beziehung zur Weimarer Zeit diskutieren.
Werner Boldt hat Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaften in Berlin, Bonn, München und Heidelberg studiert. Nach Promotion und Habilitation war er ab 1971 Dozent für Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Oldenburg, später Professor an der hiesigen Universität. Im Jahr 1996 wurde er als Mitherausgeber der Oldenburger Gesamtausgabe der Werke und Schriften Ossietzkys gemeinsam mit Dirk Grathoff, Gerhard Kraiker und Elke Suhr mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg geehrt. 2013 legte er eine umfassende Biografie über Ossietzky vor.
Helmut Donat, ausgebildeter Bankkaufmann und Lehrer, ist seit vielen Jahren als Verleger, Historiker und freier Autor tätig. Er hat den Arbeitskreis Historische Friedensforschung mitgegründet und zahlreiche Veröffentlichungen herausgebracht, so zur Geschichte des deutschen Pazifismus, zu Militarismus, Nationalsozialismus und zum Kontinuitätsproblem der deutschen Geschichte, zum Historikerstreit, zur Wehrmachtsausstellung und zum Völkermord an den Armeniern. Er wurde mehrfach ausgezeichnet, so auch im Mai 1996 mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg für seine herausragende verlegerische Leistung.
Sabine Doering hat deutsche Philologie und evangelische Religion in Göttingen und Genf studiert. Seit 2001 ist sie Professorin für deutsche Literatur der Neuzeit unter Einschluss der Literaturtheorie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Ihre Forschungsschwerpunkte bilden die Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts sowie die Gegenwartsliteratur. Die Präsidentin der Hölderlin-Gesellschaft schreibt darüber hinaus regelmäßig als freie Literaturkritikerin für verschiedene Zeitungen. Seit mehreren Jahren ist sie berufenes Jury-Mitglied zur Carl-von-Ossietzky-Preisvergabe der Stadt Oldenburg und Jury-Sprecherin.
Zuletzt geändert am 13. April 2023