CHANCEN 3/23: Interview mit Unipräsident Prof. Dr. Ralph Bruder
Interview mit dem Präsidenten der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Prof. Dr. Ralph Bruder
„Dass Oldenburgs Einwohnerzahl weiter steigt, hängt nicht unwesentlich mit der Universität und der Jade Hochschule zusammen.“
Herr Professor Bruder, eine persönliche Frage zu Beginn: Sie sind Arbeitswissenschaftler. Was würden Sie heute studieren, wenn Sie sich noch einmal einschreiben könnten?
Ich bin Ingenieur und habe Elektrotechnik studiert. Heute könnte ich mir vorstellen, mich für die Philosophie zu entscheiden, daran hatte ich schon damals großes Interesse. Auch die Politikwissenschaften wären heute eine Option für mich.
Sie sind im Sommer 2021 nach Oldenburg gekommen – mitten hinein in die Corona-Zeit. Was haben Sie seitdem von dem, was Sie sich vorgenommen hatten, verwirklichen können?
Ich bin ja mit dem Wissen um die Pandemie nach Oldenburg gekommen. Das Bewerbungsverfahren fand bereits unter Corona-Bedingungen statt. Mir war also klar, was mich erwartet. Deshalb habe ich mir von vornherein vorgenommen, die Universität Oldenburg so gut wie möglich durch die Corona-Zeit zu führen. Das habe ich als wesentlichen Teil meiner Aufgabe angesehen. Natürlich war es etwas schwieriger, unter solchen Bedingungen die Stadt und die Universität kennenzulernen. Aber das hat trotzdem sehr gut funktioniert, denn es herrschte trotz aller Corona-Einschränkungen eine große Offenheit. Ich muss allerdings auch einräumen, dass einige Themen, die ich mir inhaltlich für die Anfangszeit vorgenommen hatte, etwas zu kurz gekommen sind. Aber: Die Uni Oldenburg steht heute sehr gut da. Wenn man es nicht wüsste, würde man gar nicht merken, dass die Corona-Zeit dazwischen lag.
Waren Sie als Krisenmanager gefragt?
Sicherlich. Wir mussten hier alle immer wieder sehr kurzfristig reagieren und auf Fragen antworten, mit denen wir uns zuvor nicht beschäftigt hatten. Vieles war für uns absolutes Neuland. Und auch hier ein Aber: Diese Umstände haben dazu geführt, die Universität noch besser kennenzulernen. Ich weiß jetzt, wir funktionieren auch im Krisenmodus sehr gut.
Die Universität wirbt im Zusammenhang mit dem Jubiläum mit dem Claim „Offen für neue Wege“. Was verbirgt sich dahinter?
Die Universität hat sich dieses Motto schon vor sehr langer Zeit gegeben, und das kommt nicht von ungefähr. Wir vermeiden es, zu eng und disziplinär zu denken. Wir stellen möglichst oft das Thema in den Mittelpunkt und bearbeiten es mit unterschiedlichen Fachdisziplinen. Beispiel Hörforschung: Hier geht es uns nicht allein um die Technik, sondern auch um das Hören in einem sozialen Kontext. Wer nicht oder schlecht hört, ist schnell sozial abgekoppelt, vor allem im Alter. Darum verbinden wir sozialwissenschaftliche Fragen mit der Hörforschung, gehen hier also neue Wege. Oder noch ein Beispiel: das Thema Biodiversität. Wir stellen uns hier die Frage, wie sich Tierarten im Meer schützen lassen. Dort geht es um ganz andere Strukturen als an Land, da müssen wir unbedingt neue Wege finden. Dieses Thema hat an der Universität eine lange Tradition, die bis in die 1970er Jahre zurückreicht. Hier widmen wir uns gerade sehr sozialwissenschaftlichen Fragen im Kontext regenerativer Energieformen, aber auch der Problematik der benötigten Fachkräfte.
Welchen Herausforderungen sieht sich die Universität in den kommenden Jahren darüber hinaus gegenüber?
Uns beschäftigt natürlich stark das Thema Gesundheitsversorgung, hier im Nordwesten insbesondere die des ländlichen Raums. Die Entwicklung der Universitätsmedizin verfolgen viele mit sehr wachem Auge. Diesen Bereich weiter auszubauen ist für uns eine große Herausforderung. Um sie zu bewältigen, brauchen wir zwingend die Unterstützung der Politik in Form eines angemessenen finanziellen Rahmens. Unser Medizinstudium genießt einen sehr guten Ruf, längst kommen gezielt junge Menschen etwa aus Berlin oder Frankfurt zu uns.
Eine weitere Herausforderung?
Es wird wichtig sein, dass wir als Universität unsere Forschungsstärke noch weiter ausbauen. Oldenburg ist durch die Hörforschung bereits auf der Landkarte der Exzellenzuniversitäten. In dieser Liga wollen wir auch in Zukunft spielen. Unterschätzen darf man angesichts aller genannten Herausforderungen nicht die Frage der Ressourcen. Wie schaffen wir es als noch immer junge Gründung, diese auf uns zukommenden Aufgaben zu meistern? Welche Budgets stellt das Land Niedersachsen dafür zur Verfügung? Die Frage einer auskömmlichen finanziellen Ausstattung wird uns auch weiter stark beschäftigen.
Die Universität hat lange ein Schattendasein in der Stadt geführt und war mehr gelitten als geliebt. Das sieht heute anders aus. Können Sie sagen, wann es den Kipppunkt gegeben hat?
Ich sehe das weniger als Kipppunkt, sondern vielmehr als eine kontinuierliche Entwicklung, die zu der heutigen Akzeptanz geführt hat. Die Neugründungen der 1970er Jahre haben sich fast überall zunächst schwergetan, auch weil sie häufig eher an der Peripherie angesiedelt wurden. Und vielleicht weil sie – wie in Oldenburg – nicht so waren, wie die Stadtbevölkerung sich eine Universität vorgestellt hat. Längst aber hat die Universität Oldenburg ihr eigenes Profil entwickelt und ihre Stärken in Lehre und Forschung, Transfer und Weiterbildung vielfach unter Beweis gestellt. Natürlich liegt unser Campus noch immer am Rande der Stadt, wir wollen künftig daher noch stärker in der Stadtmitte sichtbar werden – gesellschaftlich wie auch räumlich betrachtet. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen spüren, dass Oldenburg eine Universitätsstadt ist und sie Teil davon sind.
Mit der Stadt Oldenburg wird eine neue strategische Kooperationsvereinbarung geschlossen. Welche Bedeutung hat sie?
Unsere Universität und die Stadt sind sehr eng miteinander verknüpft. Die Universität macht die Stadt attraktiver, sorgt für mehr kulturelle Vielfalt, macht sie interessanter für junge Menschen und bringt beispielsweise Gründungen hervor. Umgekehrt brauchen wir die Unterstützung der Stadt. Wenn etwa die Universität auf Internationalisierung setzt, die Stadt das aber nicht unterstützt, ist das ein Problem. Unsere Kooperation bedeutet, dass wir uns gemeinsame Ziele setzen und regelmäßig prüfen, wie erfolgreich wir damit sind, unsere Pläne zu verwirklichen. Das nehmen wir uns mit dieser Vereinbarung vor.
Die Universität trägt ja auch wesentlich zum Wachstum Oldenburgs bei …
Richtig. Dass Oldenburgs Einwohnerzahl weiter steigt, hängt nicht unwesentlich mit der Universität und der Jade Hochschule zusammen. Wir haben viele Beschäftigte und dazu kommen viele junge Leute zum Studieren her, viele bleiben. Das ist auch ein Effekt, über den sich die Wirtschaft freut.
Zum Abschluss: Was wünschen Sie der Uni Oldenburg zum 50. Geburtstag?
Zum einen wünsche ich mir, dass wir als Universität den Weg, auf dem wir uns befinden, weiter beschreitet. Dass wir weiterhin so miteinander umgehen wie zurzeit. Wir haben ein sehr menschliches Miteinander. Wir sind nicht nur offen für neue Themen, sondern auch für neue Menschen. Es ist mein großer Wunsch, das beizubehalten, und dass wir uns unseren Mut und unsere Kreativität bewahren. Zum anderen geht mein Appell an die Politik: Wir haben in Oldenburg über 50 Jahre bewiesen, was aus einer Universität werden kann, der man einst gesagt hat, macht es bitte etwas anders als die anderen. Wir brauchen das Vertrauen und die Unterstützung der Politik, um uns weiterentwickeln zu können. Nur mit den nötigen Ressourcen können wir die wichtigen Themen der Zukunft angehen und in die Gesellschaft wirken.
Zuletzt geändert am 14. Dezember 2023