Zur Person
Leben und Wirken von Ágnes Heller
Ágnes Heller wurde 1929 als Tochter jüdischer Eltern in Budapest geboren. Während ihr Vater und viele ihrer Verwandten und Freunde in der Zeit des Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden, konnten sie und ihre Mutter der Judenverfolgung knapp entgehen. 1947 legte sie am Jüdischen Gymnasium in Budapest ihr Abitur ab. Danach schrieb sie sich an der Universität Budapest für Physik ein, wechselte jedoch nach einer Vorlesung des Philosophen Georg Lukács das Fach und studierte Philosophie. Sie wurde Schülerin des marxistischen Philosophen, promovierte und arbeitete als Lukácz-Assistentin an der Universität. Heller publizierte sehr viel, kam aber bald als Mitglied der kommunistischen Partei mit der Parteiführung in Konflikt, die ihr mangelnde Linientreue vorwarf. 1958 wurde sie wegen „konterrevolutionärer Tätigkeiten“ und Ideen aus der Partei ausgeschlossen und mit Berufs- und Publikationsverbot belegt.
Zu Anfang der liberaleren 1960er Jahre durfte sie wieder in ungarischen Zeitschriften insbesondere ihre Ethik-Studien über Kant, Kierkegaard, Rousseau und Feuerbach veröffentlichen. 1968 erhielt sie wegen ihres Protestes gegen die Besetzung der Tschechoslowakei durch den Warschauer Pakt erneut ein Publikations- und Reiseverbot. In den folgenden Jahren wurden gegen sie und andere Mitglieder der „Budapester Schule“, eines philosophischen Freundeskreises aus dem geistigen Umfeld von Georg Lukács, Disziplinarverfahren eingeleitet. Es folgten Suspendierungen sowie systematische Bespitzelungen und Überwachungen.1977 emigrierte Heller mit ihrem Mann, dem Philosophen Ferenc Fehér, und ihrem Sohn nach Australien. Dort lehrte sie als Soziologieprofessorin an der La Trobe Universität in Melbourne. Anschließend übernahm sie als Nachfolgerin von Hannah Arendt den Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. In den 1990er Jahren kehrte sie nach dem politischen Systemwechsel wieder regelmäßig nach Ungarn zurück. 2001/ 2002 wurde sie Fellow des Kollegs Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar. Inzwischen lebt Ágnes Heller wieder in Budapest.
Veröffentlichungen von Ágnes Heller
Zu den wichtigsten Veröffentlichungen von Ágnes Heller zählen
- „Alltag und Geschichte – Zur sozialistischen Gesellschaftslehre“, Neuwied, Luchterhand 1970
- „Das Alltagsleben. Versuch einer Erklärung der individuellen Reproduktion“, Frankfurt/M, Suhrkamp 1978
- „Theorie der Gefühle“, Hamburg, VSA-Verlag 1980
- „Der Mensch der Renaissance“, Köln-Lövenich, Hohenheim-Verlag 1982
- „Biopolitik“, Frankfurt/M, Campus-Verlag 1995
- „Ist die Moderne lebensfähig?“ Frankfurt/M, Campus 1995
- ihre Biografie „Der Affe auf dem Fahrrad – eine Lebensgeschichte“, Berlin, Wien, Philo 1999
- „Die Auferstehung des jüdischen Jesus“, Berlin, Wien, Philo 2002
Für ihr Werk wurde Ágnes Heller mit mehreren Auszeichnungen bedacht. So erhielt sie unter anderem 1981 den Lessing-Preis der Stadt Hamburg, 1995 den Hannah-Arendt-Preis der Stadt Bremen und den Széchenyi-Nationalpreis (Ungarn), 2006 den Sonning-Kulturpreis (Dänemark) und im Jahr 2010 die Goethe-Medaille.
Ágnes Heller und andere ungarische Intellektuelle sehen sich zurzeit aufgrund ihrer kritischen Haltung gegenüber der Regierung Viktor Orbán, insbesondere ihrer Kritik an dem neuen ungarischen Mediengesetz, und dem Erstarken rechtspopulistischer antidemokratischer Tendenzen im Land erheblichen Angriffen durch die regierungsnahe rechtsnationale Presse ausgesetzt. Im Januar dieses Jahres veröffentlichten der Philosoph Jürgen Habermas und der ehemalige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin einen Aufruf, in dem sie den Umgang mit der Philosophin Heller und anderen Regimekritikern in Ungarn kritisieren. Auch der Verein Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken hat die ungarische Regierung zu einer öffentlichen Entschuldigung aufgefordert.
Ungarische Philosophin im Alter von 90 Jahren gestorben
Trauer um Ossietzky-Preisträgerin Ágnes Heller
Die ungarische Philosophin und Carl-von-Ossietzky-Preisträgerin des Jahres 2012 Ágnes Heller ist am Freitag, 19. Juli 2019, während ihres Urlaubs am Balaton gestorben. Die bedeutende Intellektuelle und scharfe Kritikerin Viktor Orbáns wurde 90 Jahre alt. Den von der Stadt Oldenburg verliehenen Carl-von-Ossietzky-Preis erhielt sie „aufgrund ihrer Furchtlosigkeit, mit der sie zeitlebens unter wechselnden Regimen ihren eigenen Überzeugungen gefolgt ist. Als europäisch und kosmopolitisch denkende Intellektuelle gibt sie einem verängstigten Europa ein eindrucksvolles Beispiel“, so die Begründung der Jury 2012. Bei der Preisverleihung, dem Schülergespräch und der Podiumsdiskussion zum Thema „Demokratie und Freiheitsrechte in Ungarn“ beeindruckte sie nachhaltig mit ihren dezidierten Statements und Analysen zum Erstarken von Rechtspopulismus und Nationalismus.
Zuletzt geändert am 4. April 2023