Editorial

Alltägliches

Im Februar kreisen die Texte der Lesebühne Metrophobia um die Facetten dessen, was wir als Alltag bezeichnen. Für die Redaktion des Duden benennt er das „tägliche Einerlei, den gleichförmigen Ablauf im [Arbeits]leben“. Positive Definitionen stelle ich mir anders vor. Denn mal ehrlich, besteht nicht der Großteil unseres Lebens aus Wiederholungen von Alltagshandlungen? Unsere tägliche Arbeits- oder Schulzeit, die an der Universität belegten Vorlesungen und Seminare, der Schul- oder Kitabeginn unserer Kinder, geben vor, wann wir aufstehen, wann Pausen möglich sind, wann die sogenannte Freizeit beginnt. Und auch die folgt Ritualen. In Familienkontexten. In Haustierkontexten. In Freundschaften und Beziehungen.

Gerade in Zeiten, in denen mir die meisten Gewissheiten um die Ohren fliegen, finde ich Alltagsrituale enorm beruhigend. Okay, ich arbeite nicht am Fließband, sondern im Kulturbetrieb. Das hat vermutlich mehr Abwechslung zur Folge, als viele andere Berufe. Wer aber meint, dass ich den lieben langen Tag mit Redaktionen und Verlagen plaudere, Literaturzeitschriften und Buchkritiken lese und Konzepte für neue Literaturprojekte entwickle, der irrt. Dennoch wenden die meisten Menschen ein, ich hätte mein Hobby zum Beruf gemacht, wenn ich doch leise zu klagen beginne angesichts des dritten Wochenendes in Folge, an dem ich keinen freien Tag habe. Lange habe ich auf solche Kommentare hin nur mild gelächelt. Inzwischen erwidere ich immer öfter, dass das Einwerben von Fördergeldern, die kleinteilige Budgetüberwachung und die umfangreiche Verwaltungsarbeit, ohne die sich kein Literaturprogramm realisieren lässt, eigentlich nie meine großen privaten Leidenschaften waren. Ich lese viel und gerne. Literatur ist für mich sogar unverzichtbar. Unverzichtbar ist das Lesen auch als Voraussetzung für meine Programmgestaltung. Die Arbeitssituation erfordert, dass ich die komplette Lektüre, die in anderen Berufskontexten vermutlich als Recherche bezeichnet würde, in meine Freizeit verlege. Ich habe also weniger mein Hobby zum Beruf, sondern streng genommen meinen Beruf zum Hobby gemacht. Deshalb habe ich schon lange beschlossen, die Widrigkeiten, die die Leitung eines Literaturhauses im Arbeitsalltag manchmal mit sich bringt, sportlich zu nehmen. Weil ich von der Grundidee, ein gutes Literaturprogramm zu machen, noch immer uneingeschränkt überzeugt bin. In den wenigen Momenten, in denen meine Arbeit öffentlich geschieht, immer dann, wenn wir Gäste zu Lesungen empfangen, vollziehe ich mit Ihnen die schönen Rituale eines gelungenen Veranstaltungsabends. Dafür lohnt es sich! Für die Begegnungen mit den Autorinnen und Autoren, für die Gespräche auf der Bühne und am Rande der Veranstaltung. Für die Begegnungen mit Ihnen.

Ed

Zuletzt geändert am 25. Januar 2024